* Wir sprechen hier im Artikel von Waldorfschulen, doch die Impulse zu Selbstverwaltung und gesundender Zusammenarbeit gelten ebenso für andere anthroposophische Einrichtungen – von Waldorfkindergärten über heilpädagogische und medizinische Einrichtungen bis zu landwirtschaftlichen Betrieben.
Die große Frage für die Zukunft wird sein:
Wie werden wir uns zu benehmen haben gegenüber den Kindern,
wenn wir sie so erziehen wollen, daß sie als Erwachsene
in das Soziale, das Demokratische, in das Liberale
in umfassendsten Sinne hineinwachsen können?
Rudolf Steiner, GA 296a
Immer wieder taucht sie auf, diese Frage – bei neuen Eltern genauso wie bei denen, die schon länger Teil der Schulgemeinschaft sind: Was bedeutet eigentlich „Selbstverwaltung“ – und warum ist sie so wichtig in Waldorfschulen?
Selbstverwaltung heißt: Die Menschen, die eine Schule tragen und gestalten – Lehrkräfte, Eltern und Mitarbeitende – übernehmen gemeinsam Verantwortung für die Entwicklung der Schule. Es geht also nicht darum, dass jemand „von außen“ entscheidet, sondern darum, dass wir als Gemeinschaft bewusst und eigenständig gestalten lernen.
Das ist manchmal herausfordernd und an jeder Schule ganz individuell – und doch immer eine große Chance. Denn überall dort, wo Menschen Verantwortung übernehmen, einander zuhören und im echten Dialog handeln, kann etwas Heilsames entstehen: ein Miteinander, das stärkt, verbindet und lebendig macht.
Gesundende Zusammenarbeit – ein Impuls aus unserer Zukunftstagung
Ein inspirierender Impuls entstand im Nachgang zur Werkstatt „Anthroposophie, Demokratie und gesellschaftliches Engagement“ im Rahmen der #BERT2025:
Wir möchten als Initiative Waldorfeltern gesundende Formen der Zusammenarbeit fördern – Arbeitsweisen, die Menschen in den Schulgemeinschaften stärken, anstatt sie zu erschöpfen.
Dabei geht es uns nicht nur um äußere Strukturen, sondern auch um eine innere Haltung. Wir verstehen diese Entwicklung als gemeinsames Lern- und Forschungsfeld: Eltern, Lehrkräfte und Schulleitungen begegnen sich auf Augenhöhe, lernen voneinander, probieren Neues aus und reflektieren gemeinsam, was trägt – und was vielleicht noch wachsen darf.
Im Mittelpunkt steht das Erleben von Selbstwirksamkeit – dieses befreiende Gefühl: Ich kann etwas bewirken! – Dies ist eine der wichtigsten Quellen gesunder Entwicklung – für jeden Einzelnen ebenso wie für die Gemeinschaft als Ganzes.
Selbstwirksamkeit entsteht dort, wo Menschen ihre Fähigkeiten einbringen dürfen, gehört werden und in einer wertschätzenden, lebendigen Zusammenarbeit erleben, dass ihr Tun Bedeutung hat.
Selbstverwaltung und Soziale Dreigliederung
Rudolf Steiner dachte Selbstverwaltung im Rahmen seiner Sozialen Dreigliederung, nach der eine gesunde Gesellschaft auf drei eigenständigen Lebensbereichen beruht.
- Geistesleben (Bildung, Kunst, Religion) – hier soll Freiheit herrschen.
- Rechtsleben (Politik, Gesetzgebung, gemeinsame Regeln) – hier gilt Gleichheit.
- Wirtschaftsleben (Produktion, Konsum, Arbeit, Finanzen) – hier soll Brüderlichkeit wirken.
Die Schule gehört in erster Linie zum freien Geistesleben. Bildung soll also von innen heraus gestaltet werden – aus der Verantwortung und Kreativität derjenigen, die mit den Kindern leben und arbeiten.
Doch in der Praxis berührt das Schulleben immer auch die anderen beiden Bereiche:
- Im Rechtsleben, wenn es um Fragen von Verantwortung, Transparenz, Entscheidungswegen oder Gerechtigkeit innerhalb der Gemeinschaft geht.
- Im Wirtschaftsleben, wenn finanzielle Mittel verteilt, Gehälter verhandelt oder Ressourcen gemeinschaftlich verwaltet werden.
Damit Selbstverwaltung wirklich gelingen kann, braucht es ein Bewusstsein für diese drei unterschiedlichen Wirkkräfte und die Fähigkeit, sie in ein lebendiges Gleichgewicht zu bringen: Freiheit im pädagogischen Gestalten, Gleichwertigkeit in Entscheidungen und Solidarität im Umgang mit materiellen Ressourcen.
Wenn Eltern und Lehrpersonen gemeinsam für dieses Verständnis eintreten, geschieht mehr als Organisation einer Schule: Es entsteht ein sozialer Übungsraum, in dem Vertrauen, Verantwortung und Freiheit immer wieder neu in Balance gebracht werden – und damit ein lebendiger Beitrag zur Erneuerung des gesellschaftlichen Lebens im Sinne Rudolf Steiners.
Wie kann das konkret aussehen?
1. Auf der persönlichen Ebene
Es gibt verschiedene Wege, die eigene Fähigkeit zur Zusammenarbeit zu stärken, zum Beispiel durch:
- Fortbildungen zur „Philosophie der Freiheit“ (→ philosophie-der-freiheit.de): eine Schulung des eigenen Denkens und Wollens.
- „Verletzlichkeit als Ressource“ (→ verletzlichkeit.jetzt): ein Ansatz, der dazu einlädt, Offenheit und Echtheit als Kraftquelle in die Zusammenarbeit einzubringen.
- Impulse durch Vorträge oder Workshops zu Kommunikation, Werten, Konfliktlösung: Es gibt zahlreiche Methoden, wie Konflikte nicht spalten, sondern verbinden können.
All das kann Eltern wie Lehrkräften helfen, achtsamer, klarer und gemeinsamer zu handeln.
2. Auf der strukturellen Ebene
Um Selbstverwaltung im Alltag lebendig zu gestalten, planen wir verschiedene Initiativen:
- Erfahrungsaustausch Selbstverwaltung
Eine Selbsthilfe-Gruppe entsteht, die als Anlaufstelle für alle Fragen und Herausforderungen aus der Praxis dient. Hier können Menschen mit konkretem Interesse und Fragen voneinander lernen und sich gegenseitig inspirieren. Du willst mehr wissen? Schreib uns → info@waldorfeltern.de - Umfrage im DACH-Raum (Deutschland – Österreich – Schweiz)
Wir möchten herausfinden, welche Schulen in den letzten fünf Jahren neue, als fruchtbar erlebte Formen der Zusammenarbeit entwickelt haben.
So können wir:- fähige Prozessbegleiter und Prozessbegleiterinnen sichtbar machen,
- gute Praxisbeispiele teilen und
- Schulen miteinander vernetzen, die voneinander lernen möchten.
- Patenschaften und Modellschulen
Schulen, die bereits einen gelungenen Entwicklungsprozess durchlaufen haben, können andere Schulen begleiten – wie große Geschwister, die ihre Erfahrungen weitergeben.
Lernen durch Orientierung – Videos, Webinare und Texte
Damit auch neue Eltern und Mitarbeitende leichter in das Thema einsteigen können, planen wir eine Reihe von Inspirationsvideos (je ca. 30 Minuten) im Rahmen unserer beliebten Elternschul-Webinar-Reihe, die auch für Lehrpersonen wertvoll ist. Wir widmen uns drei zentralen Schwerpunktthemen, die für jede Form von Selbstverwaltung wesentlich sind:
- Freiheit und Verantwortung in der Schulgestaltung
Wie können Entscheidungen so getroffen werden, dass sie sowohl den pädagogischen Impuls als auch das gemeinsame Ganze tragen? Welche Formen von Leitung und Delegation stärken Selbstwirksamkeit und Vertrauen? - Transparente Kommunikation und konstruktive Konfliktkultur
Welche Kommunikationsformen fördern Verständnis und Verbindung? Wie kann aus Spannung und Unterschiedlichkeit echte Zusammenarbeit entstehen? - Geld, Gerechtigkeit und Gemeinschaft
Wie kann die wirtschaftliche Dimension einer Schule – von Beiträgen über Gehälter bis zu Investitionen – so gestaltet werden, dass sie Geschwisterlichkeit und gegenseitige Achtung ausdrückt?
Diese Themen laden dazu ein, Selbstverwaltung als einen lebendigen sozialen Lernprozess zu verstehen – nicht nur als Organisationsform, sondern als Übungsweg für gemeinschaftliches Gestalten.
Denn Selbstverwaltung ist keine fertige Struktur. – Sie ist ein Weg, den jede Schule individuell – und wir gleichzeitig als Waldorfbewegung gemeinsam – gehen: Schritt für Schritt, im Vertrauen, dass aus dem Miteinander etwas Gesundes wachsen kann.
































































































